Der
Spatz und der Wind
Es war Frühling
geworden. Auf einer grünen Wiese stand eine Lärche. Und in
der Krone dieser Lärche hatte sich eine Spatzenfamilie häuslich
niedergelassen. Fünf kleine Spatzenkinder waren gerade aus den
Eiern geschlüpft. Die Eltern hatten es schwer, die hungrigen Mäuler
satt zu bekommen, denn sie bettelten ständig nach Nahrung.
Die Tage
vergingen. Aus den kleinen Spatzenkindern waren prächtige kleine
Kerle geworden. Nur eines der Jungen war nicht so kräftig wie
seine Geschwister.
Als die Zeit
nahte und sie flügge wurden und das Nest verlassen wollten, kam
zufällig der Wind vorbei. Er schaute in das Nest, blies kräftig
hinein, und eins, zwei, drei, flogen die vier kleinen Spatzen von
dannen.
Nur ein
Spatzenkind hatte seine kleinen Flügel nicht weit genug
auseinander bekommen, um mit seinen Geschwistern in die Welt
hinauszufliegen. So sehr es sich auch anstrengte, es gelang ihm nicht,
sich aus dem Nest zu erheben.
"Piep! Piep!"
Aufgeregt rief das winzige Spatzenkind. Warum half ihm denn niemand?
Wo waren seine Eltern? Wo seine Geschwister? Er schlug mit seinen
zarten Flügeln - doch nichts geschah.
Das alles sah der Wind. Der
kleine Spatz tat ihm leid. Da sprach der Wind: "Habe keine Angst,
kleiner Spatz, ich werde dir helfen." Der kleine Vogel drückte
sich ängstlich an den Boden des Nestes.
"Wer spricht
da?" fragte das Spatzenkind. Und der Wind erwiderte: "Ich
bin es, der Wind. Ich will dein Freund sein und möchte dir helfen
in die Welt zu fliegen, denn ich sehe, du bist nicht so kräftig
wie deine Geschwister."
Ehe sich das
kleine Spatzenkind versah, hob der Wind es ganz sanft aus seinem Nest.
So flogen sie über Hügel und Berge, über Seen und Wälder.
Immer schneller wurde die Fahrt.
Unter ihnen
breitete sich die herrliche Welt aus. Da erblickte das Spatzenkind
seine Eltern und seine Geschwister, sah noch einmal das Nest, in dem
es geboren wurde. Plötzlich rollten Tränen über sein
winziges Gesicht. Der Wind erschrak und fragte: "Was ist mit dir,
mein kleiner Freund, warum weinst du?"
"Ich möchte
nun selber weiter fliegen, lieber Wind, denn ich fühle mich stark
genug, um alleine fliegen zu können", erwiderte das
Spatzenkind.
"Dein Wunsch
soll in Erfüllung gehen!", sagte der Wind und setzte seinen
kleinen Schützling sanft auf den Ast eines Baumes ab.
Doch, was war
geschehen? Plötzlich konnte das Spätzchen seine Flügel
alleine bewegen. Ja mehr noch, es konnte sich über den Ast, auf
dem es gerade noch gesessen hatte, in die Luft erheben. Verstohlen
wischte es sich eine Träne aus den Augen und sagte zu dem Wind: "Du
hast mir mein Leben zum zweiten Mal geschenkt." Ehe es sich
bedanken konnte, war der Wind davongeflogen.
"Vielen vielen Dank
lieber Wind!" rief das kleine Spätzchen, aber der Wind hörte
seine Worte nicht mehr. Voller Mut flog es über die weiten
Felder, direkt zu seinen Eltern und Geschwistern. Sie alle hatten sich
schon große Sorgen um das Geschwisterchen gemacht.
"Dass wir
dich wieder haben!" freute sich die Mutter. Glücklich schloß
sie ihr Kind in die Arme. Aufgeregt erzählte das Spätzchen
von seiner großen Reise, die der Wind mit ihm unternommen hatte.
Es erzählte von der Sonne, von dem Mond der ihm freundlich zugelächelt
hatte, von der großen Welt, auf die es von oben herunter
geschaut hatte.
So hatte das
Schicksal ein gutes Ende genommen. Wer weiß, wieviel gute Taten
täglich geschehen, von denen der Mensch nichts weiß.
Gäbe es
nicht mehr zwischen Himmel und Erde, so wäre die Geschichte des
kleinen Spatzenkindes sicherlich nicht so glücklich ausgegangen.
(C)2010Helga
Panitzky |